Vor langer Zeit da war ich jung …

Es war früh morgens, als ich mit Erstaunen auf die Uhr sah, die neben meinem Bett auf dem Nachttisch lag. Ich hatte mich umgedreht und war wie so oft dabei aufgewacht. Irgendwann einmal hatte ich damit angefangen ein Spiel daraus zu machen: Jedes Mal wenn ich nachts aufwachte, versuchte ich, in mich hineinhorchend, die Uhrzeit zu schätzen. Mit der Zeit gewann ich die Erkenntnis, dass in meinem Aufwachrhythmus ein System, eine Regelmäßigkeit steckt. So gelang es mir immer öfter, und darauf war ich fast stolz, die richtige Zeit ganz nach Gefühl zu treffen. Fehlschätzungen von plus/minus fünf Minuten waren zur Ausnahme geworden.
Und nun, als ich wieder aufwachte, musste ich mit Erstaunen feststellen, mich total verschätzt zu haben. Ich fühlte mich müde und träge, unausgeschlafen, und glaubte daher, es könne erst Mitternacht sein, denn da wachte ich in der Regel immer auf. Aber es war schon fünf Uhr früh! Ich konnte mir diesen Irrtum nicht erklären. Obwohl es noch nicht Zeit war aufzustehen, wusste ich doch, dass ich nicht mehr einschlafen, und falls doch, ich nicht mehr aufwachen, das heißt verschlafen würde. Also krabbelte ich missmutig aus dem Bett, tappte dabei auf einen meiner Schuhe, die neben dem Bett auf dem Boden lagen, erwischte ihn auch noch so günstig, dass er hochfedernd davonflog und gegen die Zimmertür bumste. Als ich ihn aufheben wollte stieß ich ein Glas vom Tisch. Ich war mit dem Ärmel meines Pyjamas hängengeblieben. Zu dusselig, dachte ich kopfschüttelnd, wenn das so weiter geht …
Nun etwas vorsichtiger, mich zuerst umschauend, ob nicht noch etwas Umzuwerfendes in meiner Nähe sei, hob ich den Schuh und das Glas auf, wobei mir durch den Kopf ging, dass es – und das fand ich komisch – der linke Schuh war, dass ich ihn im übrigen mal wieder putzen sollte, und dass das Glas nach Whiskey stank. Dabei hatte ich Rotwein vermutet, denn ich trinke immer nur Rotwein. Trinke ich immer nur Rotwein, überlegte ich, nun doch stutzig geworden. Wann habe ich Whiskey getrunken, war das etwa gestern? Was war denn gestern? Was ist heute? Mit diesen verwirrenden Fragen, die ich leise vor mich hin murmelte, tappte ich ins Badezimmer. Als ich das Licht einschaltete musste ich blinzeln. Heute ist es besonders hell, dachte ich, während ich schon den Kopf unter den Wasserhahn hielt und mich eisern zwingend dem kalten Strahl aussetzte. Als ich in den Spiegel sah, fragte ich laut mein Gegenüber, was es eigentlich so früh schon hier zu suchen habe. Aber das Gesicht, dem das Wasser aus Haaren und Bart tropfte, antwortete nicht. Feigling, dachte ich. Ich sah Missmut in ihm auftauchen und sagte laut: „Ist ja schon gut, war nicht so gemeint!“ um es zu beschwichtigen. Mir fiel plötzlich auf, dass ich mich ja mit mir selbst unterhielt, und dachte daran, was ich eigentlich immer von Menschen gehalten hatte, die mit sich selbst reden, Selbstgespräche führen. Solchen Leuten begegnet man oft auf der Straße. Ich fand es lächerlich, ja infantil sogar. Was bringt die nur dazu?
Was soll das ganze Gerede, sagte ich zu mir und machte mir den Vorsatz von nun an zu schweigen.
Als ich beim Frühstück meinen Kaffee verschüttete rief ich laut: IDIOT! Vorsatz hin, Vorsatz her, dachte ich, und schaltete, um mich von mir selbst abzulenken, das Radio an. Ich begann wieder laut zu überlegen, denn ich fragte wie spät es nun schon sei, ohne daran zu denken, dass ich mich ja nicht zu hören brauche, wenn ich denke. Ich hatte in meinen Überlegungen ganz die Zeit vergessen. Fünf vor Sechs, sagte der Radiosprecher und erschreckte mich fast mit seiner prompten Antwort. Ich schenkte dem Radio einen misstrauischen Blick, sagte laut: „Danke!“ und überlegte dabei, ob es nicht schon etwas Sinnvolles für mich zu tun gäbe. Eigentlich sei es ja vor meiner Zeit, fiel mir ein. Da klingelte das Telefon und zerbrach mir mein mühsam aufgebautes Gedankengewirr mit einem schrillen Ton.

Als ich abhob sagte eine Stimme, die sich nicht ganz sicher zu sein schien, ob sie an der richtigen Adresse sei, mit einem ängstlich-trotzigen Ton: „Hallo? – Ich bin´s“. „Ach du bist´s,“ antwortete ich, um gleich darauf die Frage hinterherzuschicken: „Du? Wer ist ich – Moment mal – hallo …“ ich kannte diese Stimme und doch kannte ich sie wieder nicht. Aufgelegt, murmelte ich in den Hörer, als ich es knacken hörte.
Ich war aus dem Konzept gebracht, das ich mir gerade aufzustellen versucht hatte. In die Überlegung, was ich nun tun sollte, mischte sich, ohne dass ich es hätte abwehren können, die Frage, wer das wohl gewesen sei. Ich kannte die Stimme. Sie war mir sofort so vertraut vorgekommen, und ich hatte im selben Augenblick, als ich „Ach du bist´s“ sagte ein Bild vor meinem geistigen Auge, das, als ich es konzentriert fixieren wollte, einfach verschwunden war und dabei eine seltsame Leere hinterlassen hatte. Ich merkte bald dass es keinen Zweck haben würde darüber noch länger zu grübeln.
Zu gegebener Zeit würde es mir schon wieder einfallen. Ich setzte mich, mehr aus Gewohnheit als aus Arbeitslust an die Schreibmaschine, um vielleicht etwas zu schreiben. Aber meine Gedanken schienen auswandern zu wollen, denn sie beschäftigten sich mit den Dingen, die mich sonst immer an der Konzentration zu hindern pflegen.
Gestern in der Straßenbahn fiel mir zum Beispiel auf kein einziges fröhliches Gesicht gesehen zu haben. Was war nur los mit den Leuten, fragte ich mich. Einige Kinder kicherten blöd, als sie einem alten Mann, der wie schlafend dasaß, aber doch, wie ich bemerkte zu lesen schien, denn er hielt ein Buch in seinen zitternden Händen, den Hut vom Kopf stießen, so dass dieser durch den Gang zwischen den Sitzen rollte. Ich wartete eine Weile, und mir kam diese Weile peinlich lange vor, aber nichts geschah. Wohl hatten viele der Mitfahrenden zugesehen, aber keiner lachte oder rührte sich überhaupt. Nur ein junges Fräulein schüttelte grinsend den buntgefärbten Kopf, kaute auf seinem Kaugummi und sagte:“He, Alter, dein Kopfputz ist futsch!“ Der alte Mann rührte sich nicht, tat so, als ob nichts geschehen wäre, und ich merkte, dass ich seine Gelassenheit bewunderte. Ich stand auf und bückte mich nach seinem Hut, um ihn ihm zu geben. Ohne ein Wort zu sagen sah er mich an und ich fühlte mich seltsam berührt, als dabei ein Lächeln über sein Gesicht huschte, wobei seine Augen für eine Sekunde aufblitzten und lebendig wurden wie die eines kleinen Kindes beim Anblick der Geburtstagsgeschenke.
Als ich ausstieg hörte ich hinter mir zischelndes Geflüster, aber ich kümmerte mich nicht darum. Ich ging ohne Eile durch den Stadtpark und fand dort ein ganz anderes Bild. Viele Menschen nutzten das schöne Wetter und saßen oder lagen im Gras, unterhielten sich, spielten Federball, schliefen, oder genossen einfach nur die Atmosphäre buntgemischten Lebens. Alte Menschen, die sich kindlich weise über die vielen Vögel freuten, die ihnen aus der Hand fraßen, saßen neben jungen Typen, die unansehnlich und verwahrlost wirkend in ihrer friedlichen Ausgelassenheit selbst sympathisch wirkten, spielten sogar manchmal miteinander, und tolerierten sich auf selten zu erlebende Weise. Ich ging mittendurch, schlenderte am plätschernden Brunnen vorbei, sah den Wasservögeln in dem kleinen See zu, wie sie ihre jungen Zöglinge um sich scharten, als wollten sie sie im korrekten Umgang mit den Städtern belehren, als ich plötzlich jemanden rufen hörte: „He du, wart mal …“ Ich tat zuerst so, als hätte ich nichts gehört, oder so, als würde es nicht mir gegolten haben. Doch ich sollte mich irren. Irgendwie spürte ich auch, dass ich gemeint war. In einiger Entfernung links von mir sah ich ein paar junge „Typen“ im Gras liegen, von denen einer aufgestanden war und zu mir herüber blickte. Als ich einfach weiter ging rief er nochmals und kam auf mich zugerannt. Ich hatte den Eindruck als ob er nicht ganz sicher auf den Beinen wäre, denn er stolperte ein paarmal. Sein Alter schätzte ich auf etwa neunzehn oder zwanzig; in diesem Alter ist das Schätzen ja mehr Glücksache. Als er vor mir stand sagte er: „Warte doch mal … Du, weißt, ich bin ´n Student und hab keine Bude mehr. Seit drei Tagen schlaf ich im Park draußen. Ist nachts ganz schön kalt. Vor vier Tagen ham die Bullen unser Haus geräumt. Stand ja in der Zeitung. Alle reden davon. Wir waren einundzwanzig Leute da, und jetzt alle auf der Straße. Scheiße ist das. Du, ich bin völlig blank. Haste mir ne Mark?“
Dabei sah er mich an und ich hatte das Gefühl in seinem Gesicht echte Erschöpfung zu erkennen. Ich fragte ihn, wieso denn das Haus geräumt worden sei, da murmelte er etwas von Spekulanten, sagte, er überlege nun, ob er nicht aufhören sollte zu studieren, denn vor lauter Ärger könne man das Studium eh vergessen. Ich gab ihm fünf Mark und sagte, ihm auf die Schulter klopfend: „Mach keinen Mist, klar, bleib dabei und pass auf dich auf!“
Mich völlig überraschend umarmte er mich. Dabei sagte er: „Danke. Bist´n dufter Typ. Sollt´s mehr von geben, he!“ Er drehte sich um und ging zu den Bäumen zurück, wo seine anderen Kameraden, oder was sie auch waren, saßen. Von diesem plötzlichen Gefühlsausbruch seltsam berührt sagte ich mir, heute habe ich zwei Menschen eine kleine Freude bereitet, und mir damit eine große.
In einem Straßencafé bestellte ich mir einen Kaffee, der mir nicht schmeckte, worauf ich einen Cognac hinterhertrank. Am Kiosk gegenüber sah ich Zeitungen aushängen. Ich ging hinüber und kaufte mir eine. Wieder an meinem Tisch sitzend sah ich, während ich gleichzeitig die Zeitung aufschlug, noch einen Cognac bestellte und mich versonnen am Ohr kraulte, wie ein paar Häuser weiter eine junge Mutter, in der einen Hand eine Tragetasche aus Plastik, mit der anderen ein kleines Kind führend mit offenbar eiligen Schritten, die aber doch irgendwie verhalten wirkten, auf eines der großen Kaufhäuser zuging, das seinen weiten Schlund geöffnet hatte und mit Zähnen aus Sonderangeboten lockend malmend die vorbeigehenden Passanten verschluckte. Doch plötzlich wurde die Frau in ihrem zielstrebigen Gang gestoppt, und bevor ich die Ursache erkannte, sah ich schon die Reaktion. Ein, zwei, drei Schläge mit der flachen Hand über den Kopf des Kindes, dabei ein paar schrille Töne ausstoßend, die sogar ich hörte, die aber sogleich vom lauten Aufkreischen des Kindes übertönt wurden. Es zerrte an ihrer Hand, wehrte sich, zog an ihrem Kleid, stieß zurück, nur um neue Schläge einzufangen. Ich nahm an das Kind hätte wohl gerne ein Eis gehabt, denn sie waren gerade an einem Eiswagen vorbei gekommen. Die Mutter mag wohl kein Eis, dachte ich, ärgerte mich, nichts getan zu haben und sah, wie sie im schmatzenden Maul des Kaufhauses verschwanden.
Als ich etwas später wieder durch die Straßen schlenderte, am Ufer des die Stadt zerteilenden Flusses entlang, begegnete ich einer älteren Frau, die einen kleinen Hund an der langen Leine führte. In der anderen Hand hielt sie eine schwarz glänzende Handtasche. Der kleine Hund, ich glaube es war ein Pekinese, so ein Tier, winzig, mit langen Haaren, die es schwierig machen, vorne und hinten zu unterscheiden, dieser Hund hatte offenbar die Angewohnheit immer in die entgegengesetzte Richtung trippeln zu wollen. Der Winzling zog an der Leine, die Frau zog an der Leine, und als sie merkte, dass das wohl kaum zu einem Erfolg führen würde, schrie sie plötzlich zornesrot das Tierchen an, zog es zu sich her, bückte sich und gab ihm mit der flachen Hand ein paar nicht gerade sanfte Schläge, um dann das verstörte Tierchen auf den Arm zu nehmen und eiligen Schrittes davonzutragen. Mir fiel das Kind wieder ein und ich dachte, armer Hund!

Als ein Bus an der Haltestelle hielt, an der ich gerade vorbeiging, blieb ich stehen, betrachtete neugierig die Insassen, die mit gelangweilten Gesichtern vor sich hinstarrten, oder aus den Fenstern guckten, und stieg einfach ein. Wohin ich wollte, fragte der Fahrer, und ich gab ihm zwei Mark, die Antwort schuldig bleibend. Mich durch den engen Gang zwängend, vorbei an Arbeitern, Angestellten, Sekretärinnen, Hausfrauen, fiel mir wieder die Lustlosigkeit der Leute auf. Kein Lachen, nichts. Jeder hatte seine Maske aufgesetzt, seine Alltagsmaske. Die Farbe der Masken war grau, oder besser noch unbunt.

Endlich ein freier Platz. Hinten links am Fenster. Ich rutsche hinüber, setze mich. Schaue aus dem Fenster. Spüre, wie sich etwas, nein, jemand neben mich schiebt. Blicke nach rechts, um etwas erschrocken zuzusehen, wie sich eine wohlbeleibte, also dicke Frau auf den freien Platz neben mir schiebt, was ihr zu meinem Bedauern auch gelingt. Mein Blick will wieder nach links wandern, doch auf halber Strecke, zwei Sitzbänke weiter vorne, mir gerade gegenüber bleibt er an etwas hängen, das mich überrascht, ja fast bestürzt.
Ich blicke in zwei tiefdunkle, nicht ganz schwarze Augen, die zu einem ungewöhnlich schönen, fast jungenhaften Gesicht eines jungen schwarzhaarigen Mädchen gehören. Diese Augen faszinieren mich vom ersten Moment, lassen meinen Blick nicht los, ja halten ihm stand, erwidern ihn aber nicht. Doch für ein paar Sekunden verändern sie ihren Glanz, waren zuerst tiefdunkel, unergründlich, undurchschaubar, bekommen jetzt einen leicht glänzenden Schimmer, wie als wenn ein goldener Schatz greifbar nahe und doch unerreichbar auf dem Grunde eines Sees der Sonne entgegen blitzt. Mehr fühle als dass ich sehe, dass diese Augen schon mehr gesehen haben müssen, als man zuerst annehmen möchte.

Ich glaube sie wollten mir nichts mitteilen, vielmehr mich dazu bewegen, selbst zu lesen, zu erfahren, zu erkennen, was sie verbergen. In diesen zwei Sekunden sah ich ihr Leben, ihre Trauer, Verzweiflung, ihre Liebe. Sie war sicher kaum vierzehn Jahre alt.
Erst jetzt bemerkte ich, dass der Bus aus der Stadt heraus durch ein paar Dörfer gefahren war, in denen er jedesmal gehalten hatte. Im nächsten Dorf stieg ich aus. Mit mir war noch eine ältere Frau ausgestiegen, sie trug ein blaues Kopftuch, ich vermutete eine Bäuerin. Sie hatte wohl einen größeren Einkauf in der Stadt hinter sich, denn sie hielt in jeder Hand große gefüllte Einkaufstüten und um die rechte Schulter ihre Einkaufstasche hängen. Ich bot mich als Träger an, lächelte freundlich, fragte, ob sie einen weiten Weg hätte, ob die Taschen wohl sehr schwer wären, dachte mir nichts dabei, da schrie sie mich an, plötzlich, mich völlig unvorbereitet treffend. Sie war wütend, ja fast zornig: „Verschwinden Sie, lassen Sie mich in Ruhe, ich brauche Sie nicht. Hauen Sie ab, sonst ruf ich die Polizei!“ Was hat sie nur, dachte ich, ich wollte doch bloß … „Unverschämtheit!!“ zeterte sie und trampelte davon, was ihr so beladen sichtlich Mühe bereitete. Verdutzt ging ich langsam weiter durch das Dorf, sah mir die Häuser an, die Fenster, versuchte mir die Leute vorzustellen, die darin wohnten, denn, so ist es meistens, weist die Dekoration der Fenster und Türen oft sehr schlüssig auf die darin wohnenden Menschen hin.
In einem Garten, links auf der anderen Seite der Straße, schrie ein Hahn. Er saß auf einem Zaun, stolz und herausfordernd, reckte den Hals und schrie aus Leibeskräften, nur warum er dies tat, war mir nicht ersichtlich. Es war ein schöner Hahn mit bunten Federn.
Das Imponiergehabe hat er doch gar nicht nötig, dachte ich und grüßte hinüber.
Ich ging weiter. Als ich an einem Bauernhof vorbeikam, bemerkte ich eine schwarze Katze. Sie lag auf einem hölzernen Verschlag, der am Zaun zur Straße lehnte, und sie räkelte sich wohlig. Ich lockte sie mit einem Zungenschnalzen – und schon war ich von fünf kleinen Katzen umringt. Aus allen möglichen Löchern und Verstecken kamen sie heraus, sprangen am Zaun hin und her, und dann darüber, um sich um meine streichelnde Hand zu drängeln. Es kam mir vor, als wäre es ein Traum. Mein Herz sprang mir vor Freude fast davon. Ein kleines graues Kätzchen war besonders zutraulich. Kaum machte ich mit der Zunge „sst“, schon kam es herbeigesprungen und warf sich gegen meine Beine. Lange schaute ich dem herrlichen Spiel der jungen Tiere zu, war Teil des Spiels, und es fiel mir schwer weiter zu gehen.
Nicht viel weiter sah ich Spatzen in einer großen Pfütze baden. Es war schon ein herrliches Lustspiel, das sie mir da boten. Es spritzte nur so. Schmutzfinken, dachte ich und musste lachen. Da flogen sie fort.
Zehn Minuten später kam ich an einem kleinen Garten vorbei. Eine kleine, runde Frau mittleren Alters wühlte mit den Händen, tief gebückt, in der Erde herum. Neugierig fragte ich sie, was sei denn da mache. Sie erzählte mir, sie habe hier einmal Blumenzwiebeln gehabt, aber diesmal seien sie nicht ausgetrieben und nun wolle sie nachschauen, wie es darum stünde. Ich verstehe nichts von Blumenzwiebeln, die essbaren auf dem Schmalzbrot mit Salz und Pfeffer sind mir lieber, doch nickte ich verständig. „Da habe ich eine“, rief sie plötzlich und richtete sich auf. Ihr rundes Gesicht glühte vor Anstrengung, aber wohl auch vor Erregung. Sie zeigte mir die Zwiebel – ein unansehnliches Ding mit vielen Löchern drin. „Schnecken“, sagte sie dabei und wies mit einem Finger auf eines der Löcher, „Schnecken, fressen alles auf, Schnecken sind´s also.“ Ohne ein weiteres Wort zu sagen packte sie meinen Arm, zog mich durch das offenen Gartentor und führte mich zum Schuppen, der im hinteren Ecke des Gartens stand. Irgendwoher zauberte sie einen riesigen Krug hervor, zwei kleine Steinkrüge dazu, und schon tranken wir beide süßsauren Most. Sie seufzte, hielt immer noch die Zwiebel in der Hand, schmatzte, schenkte nach und lachte schon wieder: „Der isch guat, gell?“ Ich nickte schluckend. „Jetzt muss ich aber gehen“, sagte ich zu ihr nach einer Weile schweigsamen Trinkens, „danke für den guten Tropfen, liebe Frau,“ ich reichte ihr die Hand, den Krug und ging.
Ich hatte das Dorf hinter mir gelassen und stapfte über die Wiesen der Spätnachmittagssonne entgegen. Irgendwann blieb ich stehen, sah mich um, fragte laut: „Was jetzt? Wohin?“ bekam keine Antwort, schloss die Augen, drehte mich im Kreise, hielt an und ging in die Richtung weiter, in die ich gerade blickte. „Dahin also“ sagte ich und nickte mit dem Kopf. Ich ging direkt auf ein Wäldchen zu, an dessen Rand ein Bauer mit der Sense das hohe Gras schnitt. Er nickte grüßend mit dem Kopf, als ich stehenblieb und ihm eine Weile zusah, wie er mit rhythmischen Bewegungen die Sense führte. „Darf ich Sie ablösen?“ hörte ich mich verwundert fragen, dachte gleichzeitig, du spinnst wohl, sah Erstaunen in seinem Gesicht, ja ein wenig Misstrauen sogar, er machte noch drei Schnitte, dann blickte er mich einen Augenblick lang an und sagte: „Kommat se her, i glaub kaum, das se´s kennat!“ „Ich kann´s ja mal probieren, vielleicht zeigen Sei´s mir?“ erwiderte ich erfreut und ging zu ihm hinüber. Wortlos drückte er mir die Sense in die Hand, nachdem er sie nochmals geschärft hatte und sah zu, wie ich zuerst mit etwas unbeholfenen Bewegungen und dann immer runder und rhythmischer werdend Grasbüschel um Grasbüschel schnitt.
„Se missat´s Messer tiefer führa, soscht bleibt zviel standa!“ korrigierte er mich, „garet schlecht fier da Afang“.
Er schaute mir eine Weile aufmerksam zu, blickte den schwingenden Bewegungen der Sichel nach, sah die ersten Schweißtropfen auf meiner Stirn auftauchen, lächelte, sagte „s´goht schwer, abr´s goht, gell“, ich nickte, sagte dass ich nie gedacht hätte, dass es so viel Kraft erfordere, und antwortete „Ja“ als er mich fragte, ob ich weitermachen wolle. Er setzte sich mit verwunderter Miene auf einen Grashaufen und sah mir mit Interesse und wachsendem Vergnügen zu.
Wenn man sich erst einmal in einen Rhythmus eingependelt hat, hört man auf, sich auf die Bewegung zu konzentrieren. Der Bewegungsablauf verselbständigt sich, er läuft automatisch ab, und gibt so den Gedanken Gelegenheit, sich vom Ort des Geschehens zu entfernen. So ging es mir, nachdem ich etwa dreißig Minuten im gleichbleibenden Takt die Sense führend über die Wiese schritt. Ich dachte an den Hund, an das Kind vor dem Kaufhaus, an das Mädchen im Bus mit seinen ungewöhnlichen Augen, an die lustige Frau im Garten, die mich mit Most verköstigte und es tauchten so immer mehr Bilder auf, die mir den Tag über begegnet waren.
Erstaunt sah ich auf die Blätter, die meine Schreibmaschine ausgespuckt hatte.
Ich habe das geschrieben?

Und du hast mich angerufen? Tu´s bitte wieder …